Vaterländer by Tambrea Sabin
Autor:Tambrea, Sabin [Tambrea, Sabin]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gutkind Verlag GmbH, Berlin 2004
veröffentlicht: 2024-08-29T00:00:00+00:00
III
Den ganzen Morgen über stand Béla auf dem Balkon und lieà aufgeregt seinen Blick über die Allee im Zentrum von Târgu MureÈ schweifen. Der Himmel war stechend blau, die Sonne versetzte die Stadt in Trance, nur vereinzelt liefen Menschen umher. Vier Herren mit Schnurrbärten in dunklen Anzügen und breiten Hüten standen an einem Zeitungsstand und rauchten, mit dem Verkäufer in eine aufgeregte Debatte vertieft. Auf der zweispurigen StraÃe, die zu seiner linken von der orthodoxen Kathedrale am Kopfende der endlos langen Allee heranführte, quietschten die Bremsen eines cremefarbenen Dacia, um einer Mutter mit ihren zwei Söhnen den Ãbergang vom Mittelstück der blumengesäumten Allee zu ermöglichen.
Aus dem zweiten Stock schaute Béla direkt auf Augenhöhe in das Profil eines monumentalen Soldaten mit erhobener Flagge über dem Helm, eine riesige Statue zum Andenken an die Befreiung Siebenbürgens von der Hitlerbesatzung, die vom Direktor seines Kunstlyzeums erschaffen und erst wenige Jahre zuvor mit groÃem Aufwand auf dem Mittelbereich der Allee aufgestellt worden war, mit der Inschrift auf dem Sockel: »Ewiger Ruhm den Soldaten der rumänischen Armee, die ihr Leben für die Befreiung ihres Heimatlandes geopfert haben«.
Gegenüber sah er das Cinema Arta, ungefähr auf der Hälfte des Weges zur Kathedrale führte eine kleine StraÃe zwischen den herrschaftlichen Häusern einen Berg hinauf und am Hauptgebäude der Securitate entlang. Béla streifte mit seinen Blicken die im österreichisch-ungarischen Stil gestalteten Fassaden zu beiden Seiten der PiaÈa Trandafirilor, dem Rosenmarkt mit den unzähligen Beeten zwischen blühenden Linden; ihr Duft lag als Grundakkord unter der Hitze weichen Asphalts und reichte bis zu seinem Wohnhaus, einem kalten Block ohne jegliche Eleganz. Zu seiner Rechten grenzte das Haus direkt an den Kulturpalast, als brutaler Riss zwischen grauem Neubau und lebhaftem Jugendstil.
Oft hatte er sich über den Künstlereingang im Innenhof seines Wohnhauses in den Palast geschlichen, zahllose Proben aus der Deckung beobachtet, mal waren es ungarische Theaterstücke, mal rumänische, mal probte das Philharmonische Orchester. Wenige Monate vor diesem Sommer des Jahres 1968 war Béla dreizehn Jahre alt geworden. An seinem Geburtstag hatte er im Kulturpalast einer Probe des Violinkonzerts in e-Moll von Mendelssohn beigewohnt, das ihn tief bewegt hatte. Deswegen hatte er sich vorgenommen, die Anfangstakte der Solovioline über die nächsten Monate zu üben, um sich in den Ferien Eintritt zu dem prunkvollen Saal zu verschaffen und diese Melodie dort selbst erklingen zu lassen. Die Akustik stellte er sich berauschend vor. Als er mit seiner Familie für zwei Wochen aufs Land verreist war, hatte Béla die Geige mitgenommen und dadurch die Nerven seiner Eltern und der beiden älteren Geschwister aufs ÃuÃerste strapaziert.
Nun waren sie zurück, und er konnte es kaum erwarten, den Klangunterschied zu hören zwischen dem hallenden Konzertsaal und dem engen Zimmer, in dem er geübt hatte. Da der Künstlereingang des Kulturpalastes in den Sommerferien verschlossen war, musste er sich einen anderen Weg suchen. Der Geigenkasten lag griffbereit hinter ihm, nun musste nur noch ein bestimmter Transportwagen erscheinen, der den Bäcker im Kellergeschoss des Hauses ablenken würde, doch die Lieferung lieà auf sich warten.
Die Mutter mit ihren zwei Söhnen hatte die StraÃe
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